Alfred Kallinowski berichtet:
Auch das war der 1. Mai: Bergleute zogen zur Kundgebung in die Cranger Heide
Seit 1890 wird der 1. Mai international als „Tag der Arbeit“ gefeiert. Eine lückenlose Chronik der Maifeiern in Wanne-Eickel gibt es allerdings nicht. Die meisten der Alt-Veteranen leben nicht mehr, doch die Mundpropaganda hat dafür gesorgt, Bruchstücke aus jenen Tagen zu erhalten, als man noch wegen einer roten Nelke im Knopfloch von der Polizei verhaftet wurde.
Aufruf zur Maifeier 1903. In Wanne-Eickel waren kaum mehr als drei Prozent der Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert.
Vermutlich fanden sich erst kurz vor dem ersten Weltkrieg die Wanne-Eickeler Gewerkschafter vereint und selbständig zusammen, um den Maitag zu feiern. Bis dahin machten die einzelnen Gewerkschaften nach Zahlstellen eine Maifeier. Da es noch keine Stadt Wanne-Eickel, sondern nur die Ämter Eickel und Wanne gab, gehörten beispielsweise die Drucker und Metallarbeiter nach Bochum, die Postler nach Dortmund und die Holzarbeiter nach Herne. Lediglich die Bergarbeitergewerkschaft hatte sich in Wanne-Eickel fest etabliert. Mai-Umzüge waren verboten.
Der Gelsenkirchener Landrat als Polizeichef hatte die Gewalt. Trotzdem wurde der 1. Mai gefeiert. Bergleute zogen mit ihrer Familie in die damals noch unbebaute Cranger Heide und verbrachten den Tag in Gottes freier Natur. Jedoch das Auge des Gesetzes wachte, denn jede politische oder gewerkschaftliche Rede war bei Wilhelm II. verboten.
Erst 1919, als die Monarchie zusammengebrochen war und die Kinder auf der Straße sangen „Der Kaiser hat in Sack gehaun, er kauft sich einen Henkelmann und fängt bei Krupp als Dreher an“, gab es den ersten Mai-Umzug, der einige tausend Teilnehmer sah. Alsdann gab es alljährlich am 1. Mai eine Kundgebung. Was die Demonstranten damals mit viel „Knüppelmusik“ forderten, wie Jugend- und Mutterschutz, Achtstundentag, Soziallöhne und drei Wochen Jahresurlaub, das ist heute längst Wirklichkeit geworden und wird vielfach von den Jüngeren als eine Selbstverständlichkeit betrachtet. Die Alten haben diese Errungenschaft damals erkämpfen müssen.
Noch 1933 kam es zu einer Maifeier. Jedoch ohne Gewerkschafter, denn die führenden Leute waren verhaftet oder hielten sich verborgen, denn die braune SA hatte wenige Tage zuvor die Wohnungen der Gewerkschaftsfunktionäre aufgesucht, um die alten Kämpfer in „Schutzhaft“ zu nehmen. In der Stadthalle Wanne-Süd wurde verkündet, dass die alten Gewerkschaften verboten und deren Eigentum in die „Deutsche Arbeitsfront“ übergeht. Bis 1939 fanden zentrale Maikundgebungen auf den Marktplätzen in Eickel, Wanne-Süd und dem Feuerwehrplatz an der Adolf-Hitler-Straße (heute Stöckstraße) statt.
Im Krieg 1939 bis 1945 fielen einige Maifeiern aus, weil Kohlen gefördert werden mussten. Ab 1943 befürchtete man Tieffliegerangriffe. 1946 gab es die erste freie Maifeier, wozu sich 10.000 Wanne-Eickeler auf dem Preußenplatz an der Stöckstraße versammelten. Gewerkschaftschef Wilhelm Heimüller hielt von einem angefahrenen Lastwagen aus eine halbstündige Ansprache, die vom Wanner Männerchor unter der Leitung von Wilhelm Beckmann verschönert wurde.
Am 1. Mai 1950 versammelten sich über 10.000 Wanne-Eickeler auf dem Preußenplatz an der Stöckstraße. Gewerkschaftschef Wilhelm Heimüller verlangte die Gleichberechtigung für Frauen.